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OJBR80CB15 - Können die menschlichen Probleme gelöst werden?
15. Gespräch mit David Bohm
Brockwood Park, UK
27. September 1980



0:32 Krishnamurti: Sir, ich würde gerne, ein Thema besprechen, das wir schon vor ein paar Tagen angeschnitten haben.
0:46 Wir haben einen kultivierten Geist, der fast jedes technische Problem lösen kann. Und offenkundig haben wir die menschlichen Probleme nie gelöst. Die Menschen werden überschwemmt von ihren Problemen. Probleme der Kommunikation, der Ansammlung des Wissens, Beziehungsprobleme, Probleme mit Himmel und Hölle. Die gesamte menschliche Existenz ist zu einem einzigen riesigen, komplexen Problem geworden. Und offenbar ist es schon immer so gewesen. Und der Mensch ist trotz seines Wissens, trotz der viele Jahrhunderte langen Evolution, ist er nie frei von Problemen gewesen.
2:03 D. Bohm: Ja, und ich würde ergänzen, unlösbaren Problemen.
2:09 Ich bezweifle, dass menschliche Probleme
2:13 unlösbar sind. – So wie sie jetzt erscheinen.
2:16 Natürlich. Jetzt sind diese Probleme so komplex geworden, so unfassbar schwer zu lösen, so wie es aussieht. Kein Politiker, Wissenschaftler oder Philosoph wird sie lösen können, außer durch Kriege. Keiner von denen kann sie lösen. Also, warum war der menschliche Geist nirgendwo auf der Welt fähig, die menschlichen, alltäglichen Probleme des Lebens zu lösen? Welche Dinge haben die Lösung dieser Probleme verhindert? Total! Liegt es daran dass wir uns ihnen nie gewidmet haben? Wir verbringen unsere Tage und wahrscheinlich die halbe Nacht damit, über technische Probleme nachzudenken, und wir haben keine Zeit für das Andere?
3:31 Daneben glauben viele, das Andere sollte sich selbst um sich kümmern. Ich glaube, viele Menschen schenken diesen Problemen kaum Beachtung.
3:43 Warum, warum? Mir ist das sehr wichtig, weil in einer Schule wie dieser oder bei all den Menschen, vor denen wir sprechen, die menschlichen Probleme unverändert bestehen bleiben. Und ich überlege, frage in diesem Gespräch, ob es möglich ist, überhaupt keine Probleme zu haben. Menschliche Probleme. Technische Probleme können wir lösen. Aber die menschlichen Probleme scheinen unlösbar zu sein. Warum? Liegt es an unserer Erziehung? Liegt es an unserer tief verwurzelten Gewohnheit, dass wir die Dinge hinnehmen, wie sie sind?
4:57 Das erklärt es sicher zum Teil. Mit zunehmendem Alter der Zivilisation häufen sich diese Probleme. Immer mehr werden die Dinge hingenommen, die Schwierigkeiten machen. Zum Beispiel existieren heute weit mehr Staaten als je zuvor und jeder einzelne von ihnen schafft neue Probleme. – In früheren Zeiten war es … – Aus jedem verrückten kleinen
5:23 Volksstamm wird ein Staat. – Und dann müssen sie ihre Nachbarn bekämpfen.
5:28 Und sie haben diese wunderbare Technologie, um einander umzubringen.
5:36 Aber wir sprechen über die menschlichen Probleme, Probleme mit den Beziehungen, Probleme der Menschen mit dem Mangel an Freiheit, diesem ständigen Gefühl von Unsicherheit, Angst. Sie wissen, was ich meine, der menschliche Kampf, arbeiten müssen für seinen Lebensunterhalt das ganze Leben lang. Es sieht alles ungemein falsch aus, die ganze Sache.
6:06 Man hat den Blick dafür verloren. Im allgemeinen nehmen die Menschen die Situation hin, in der sie sind und versuchen, das Beste daraus zu machen, einige kleinere Probleme zu lösen, um ihre Lage erträglicher zu machen. Sie schauen sich nicht ernsthaft genug die Gesamtsituation an.
6:28 – Die religiösen Leute haben der Menschheit ein gewaltiges Problem aufgebürdet. – Ja.
6:33 Auch sie versuchen, Probleme zu lösen. Jeder hat seinen eigenen kleinen Bereich, löst, was er kann, und das verschlimmert das Chaos.
6:45 Chaos, das finde ich auch. Wir Menschen leben in einem Chaos. Ich will wissen, ob ich ab jetzt ohne ein einziges Problem leben kann. Ist das möglich?
7:10 Vielleicht sollten wir diese Dinge gar nicht "Probleme" nennen. Ein Problem wäre etwas, das man irgendwie lösen kann. Wer es als Problem ansieht, ein bestimmtes Ergebnis zu erzielen, glaubt, dass es irgendwie machbar ist. Richtig? Technisch. Im Psychischen kann man nicht so vorgehen, ein Ergebnis vorgeben und versuchen, das zu erreichen.
7:41 Was liegt all dem zugrunde? Was ist die Ursache dieses menschlichen Chaos?
7:55 Wir sprechen darüber schon seit langem.
7:57 Ich versuche, es mal von einer anderen Seite aus anzugehen, und frage, ob Probleme auch ganz aufhören können. Sehen Sie, ich persönlich weigere mich, Probleme zu haben.
8:34 Jemand könnte das in Frage stellen und sagen, dass es Herausforderungen gibt.
8:41 Das ist kein Problem. Vor ein paar Tagen stand ich vor einer sehr ernsten Herausforderung.
8:47 Es braucht da eine Klarstellung. Ein Teil der Schwierigkeiten liegt an der Unklarheit der Sprache. – Nicht nur Sprache. – Alles damit verbundene.
8:57 Nicht nur Sprache. Es ist eine Frage der Beziehung und des Handelns. An diesem Tag kam ein Problem auf. Es betraf sehr viele Menschen. Und ein geeignetes Handeln musste gefunden werden. Ich persönlich habe das nicht als Problem betrachtet.
9:24 Wir müssen das genau erklären, weil ohne Beispiel … – Mit "Problem" meine ich
9:30 etwas, das gelöst werden muss, worüber man sich sorgt, etwas, womit man ständig beschäftigt ist. Man hinterfragt, findet Antworten, zweifelt, ist unsicher, unternimmt etwas, das man nachher wieder bereut.
9:46 Betrachten wir mal technische Probleme, da wurde zuerst etwas als Problem angesehen. Es gibt eine Herausforderung, etwas muss bewältigt werden, ein sogenanntes "Problem".
9:57 Wir nennen das dann "Problem".
10:00 Das Wort "Problem" bedeutet etwas "Vorgelegtes", eine mögliche Lösung, die man erreichen will.
10:07 Oder ich weiß nicht, mit einem Problem umzugehen.
10:11 Das kommt hinzu. Wenn man ein Problem hat und nicht damit umgehen kann, …
10:17 Dann fragt man alle möglichen Leute und wird dabei immer verwirrter.
10:24 Das unterscheidet sich schon vom technischen Problem, wo man normalerweise eine Vorstellung hat, was zu tun ist.
10:34 – Haben wir das? – Was? Technische Probleme?
10:38 Technische Probleme sind ziemlich einfach.
10:43 Sie sind oft herausfordernd und erfordern es, seine Vorstellungen zu ändern.
10:48 Darauf will ich hinaus.
10:50 Auch ein technisches Problem kann das erzwingen. Aber sehen Sie, wenn Sie ein technisches Problem haben, dann sagen Sie, "Ich sehe eine mögliche Lösung." Wenn Nahrungsmittel fehlen, muss man mehr erzeugen und Möglichkeiten dafür entwickeln.
11:08 – Das können wir! – Ja, und wir könnten auch vollkommen neue Ideen entwickeln.
11:14 Können wir das auch im Psychischen? Ja, darum geht es.
11:26 Wie behandeln wir dieses Ding?
11:29 Was für Probleme sollen wir anschauen?
11:32 – Menschliche Probleme. – Probleme welcher Art?
11:36 Irgendeins der Probleme, die in Beziehungen auftauchen.
11:39 Menschen können sich nicht einigen, sie bekämpfen sich.
11:43 Ja, nehmen wir das als einfaches Beispiel.
11:46 In unseren Gesprächen hier mit den Menschen scheint es fast unmöglich zu sein, gemeinsam zu denken, zu einer übereinstimmenden Sicht der Dinge, der selben Einstellung zu kommen, ohne Meinungen anderer einfach zu übernehmen, sondern eine normale, gesunde Haltung dazu zu finden. Und jeder Einzelne besteht auf seiner Meinung, während andere ihm widersprechen. So ist es jedesmal, sowohl in der Welt als auch hier.
12:31 – Für uns ist also das Problem, gemeinsam zu arbeiten, zu denken. – Ja,
12:36 gemeinsam arbeiten, gemeinsam denken, miteinander kooperieren, ohne dass es um Geld ginge.
12:50 Wenn sie gut genug bezahlt werden, arbeiten Menschen auch zusammen.
12:54 – Natürlich, so ist es. – Nur
12:57 wenn die Umstände anders sind, als wir wollen, haben wir ein Problem. – Ja, richtig.
13:03 Nun, wie löst man so ein Problem? Ich äußere meine Meinung und Sie und er, alle haben eine Meinung, und so kommen wir nicht zusammen! – Nein.
13:22 Was sollen wir also tun? Und es scheint fast unmöglich, seine eigene Meinung aufzugeben.
13:29 Das ist eine der Schwierigkeiten. Es hat keinen Sinn zu sagen, ich solle meine Meinung aufgeben. Man kann das eigentlich nicht als Problem bezeichnen, wie das geht, die eigene Meinung aufzugeben.
13:46 Nein, natürlich nicht. Aber es ist eine Tatsache. Also, wir wissen das und sehen die Notwendigkeit, dass wir alle auf einen Nenner kommen. Wenn man das den anderen sagt, wird es für sie zu einem Problem.
14:09 Weil es ihnen schwerfällt, ihre Meinung aufzugeben.
14:13 Meinungen, Vorurteile, die eigenen Erfahrungen, ihre Schlussfolgerungen, ihre Wunschbilder, Glaubenssätze, all das.
14:21 Es mag gar nicht aussehen wie eine Meinung …
14:25 – Sie nennen es Tatsache. – Tatsache oder Wahrheit.
14:28 Was sollen wir also tun? Wenn man einsieht, dass es wichtig für die Menschen ist, zusammenzuarbeiten, nicht für eine Wunschvorstellung, für einen Glauben, einen Gott oder ein höheres Prinzip, sondern die Wichtigkeit, die Notwendigkeit des Zusammenarbeitens. In den Vereinten Nationen arbeiten sie nicht zusammen. In Indien arbeiten sie nicht zusammen. In keinem Land arbeiten die Menschen zusammen.
15:20 Dazu kommt, dass wir nicht nur Meinungen haben, sondern auch Eigeninteressen. Das ist fast das gleiche.
15:28 All das, und es wird zu einem Problem.
15:34 Man nennt es ein Problem. Solange zwei Menschen mit verschiedenen Eigeninteressen diese beibehalten wollen, können sie nicht zusammenarbeiten.
15:46 Richtig, aber nehmen wir einen Ort wie diesen, wo es eine Gruppe von Menschen gibt und es wichtig ist zusammenzuarbeiten. Sogar in einem Dorf, einem kleinen Land müssen wir alle zusammenarbeiten. Und es sieht so aus, als sei es unendlich schwierig. Ja,
16:11 wo können wir da ansetzen?
16:13 – Darüber möchte ich reden. – Dann reden wir darüber.
16:27 Wenn Sie mich darauf hinweisen, dass wir zusammenarbeiten müssen, und Sie zeigen mir, wie wichtig das ist und ich sehe, dass es wichtig ist, trotzdem kann ich es nicht! – Darum geht es.
16:48 Einzusehen, dass es wichtig ist und es zu wollen, genügt nicht. Normalerweise, wenn Einsicht und Wille da sind, dann tue ich es.
16:58 Aber ich kann nicht!
16:59 Ein neuer Faktor erscheint. Ein Mensch hat die Einsicht, die Absicht und kann trotzdem nicht.
17:06 – Das erscheint ihm als Problem! – Ja, jedem.
17:09 Ja, jedem.
17:13 Warum können wir unsere Absichten nicht umsetzen? Wir sehen die Wichtigkeit, wollen und können nicht. – Es ist rätselhaft. – Man kann
17:22 viele Gründe dafür finden, aber diese Gründe, Ursachen und Erklärungen lösen das Problem nicht, helfen uns nicht beim Verständnis. Wir kommen immer wieder zum selben zurück: Was bringt einen menschlichen Geist dazu, sich zu verändern? Er sieht die Notwendigkeit und ist doch unfähig oder unwillig, sich zu verändern. Welcher Faktor wird gebraucht? Ein neuer Faktor ist notwendig.
18:01 Ich glaube, es ist Wahrnehmung, die Fähigkeit zu beobachten, was es auch ist, das ihn zurückhält, ihn daran hindert, sich zu verändern.
18:15 Sir, ist Aufmerksamkeit der neue Faktor?
18:21 Ja, das meinte ich, Aufmerksamkeit, aber wenn man das in einer Gruppe anspricht, welche Art von Aufmerksamkeit meinen Sie?
18:34 Wir können darüber reden, was Aufmerksamkeit ist.
18:37 Man versteht verschiedenes darunter.
18:40 Offensichtlich, wie immer gibt es auch darüber viele Ansichten. Könnten wir, Sie und ich, sehen, was Aufmerksamkeit ist? Ich empfinde es so wie in einem Brief, den ich heute erhielt, in dem die Person schreibt: Wo Aufmerksamkeit ist, gibt es kein Problem. Wenn Unaufmerksamkeit herrscht, taucht alles mögliche auf. Ohne dass wir jetzt daraus ein Problem machen: Was meinen wir mit Aufmerksamkeit? So dass ich es verstehe, nicht nur als Beschreibung, intellektuell, sondern tief in meinem Inneren das Wesen der Aufmerksamkeit verstehe, in welcher gar kein Problem existieren kann. Es ist jedenfalls nicht Konzentration.
20:17 Das haben wir untersucht.
20:20 Das haben wir untersucht. Es ist offensichtlich auch kein Bemühen, keine Erfahrung, keine Anstrengung, aufmerksam zu sein. Sondern Sie zeigen mir das Wesen der Aufmerksamkeit, das heißt: Wo Aufmerksamkeit ist, gibt es kein Zentrum, von dem aus ich aufmerksam bin.
20:48 Das ist eine schwierige Angelegenheit.
20:51 Natürlich. Lassen Sie uns kein Problem daraus machen.
20:54 Nein, aber ich bemühe mich schon lange um dieses Thema. Ich finde, dass erstmal unklar ist, was mit Aufmerksamkeit gemeint ist, weil jemand beim Betrachten des gedanklichen Inhalts glauben könnte, er sei aufmerksam.
21:16 Nein, im Aufmerksamsein gibt es keine Gedanken.
21:22 Aber wie beendet man das Denken? Während des Denkens besteht der Eindruck, man sei aufmerksam. Das ist aber nicht Aufmerksamkeit. – Man denkt, man sei aufmerksam. – Nein.
21:39 Wer annimmt, er sei aufmerksam, irrt sich. Nein, aber viele glauben das.
21:45 Wie können wir vermitteln, was es heißt, wirklich aufmerksam zu sein?
21:51 Oder meinen Sie, um herauszufinden, was Aufmerksamkeit ist, reden wir besser darüber, was Unaufmerksamkeit ist? Es herausfinden durch das Untersuchen des Gegenteils. Wenn ich unaufmerksam bin, was findet da statt? Wenn ich unaufmerksam bin, …
22:25 Dann findet alles mögliche statt.
22:28 Nein, viel mehr als das. Wenn ich unaufmerksam bin, fühle ich mich einsam, verzweifelt, niedergeschlagen, ängstlich usw.
22:47 Der Verstand beginnt sich aufzulösen und wird verwirrt.
22:50 Aufsplitterung findet statt. Oder, ich identifiziere mich aus Gründen mangelnder Aufmerksamkeit mit allen möglichen Dingen.
23:03 Es kann auch angenehm sein. – Natürlich, es ist immer angenehm. – Naja, es kann auch schmerzhaft sein.
23:11 Ich merke im Nachhinein,
23:14 dass das vorher Angenehme jetzt schmerzhaft geworden ist.
23:21 All das ist eine Bewegung, in der Aufmerksamkeit abwesend ist. Richtig? – Wird es irgendwie klarer? – Ich weiß nicht.
23:44 Ich glaube, Aufmerksamkeit ist wirklich die Lösung all dessen. Ein Geist, der wirklich aufmerksam ist, der wirklich das Wesen der Unaufmerksamkeit verstanden hat und sich davon weg bewegt.
24:08 Was ist denn das Wesen der Unaufmerksamkeit?
24:11 Das Wesen der Unaufmerksamkeit? Trägheit, Nachlässigkeit, Ich-Bezogenheit, innere Widersprüchlichkeit, das gehört alles zur Unaufmerksamkeit.
24:33 Aber vielleicht sagt ein selbstbezogener Mensch, er ist gegenüber sich selbst aufmerksam. Er sagt, ich habe Probleme und ich kümmere mich darum.
24:46 Ah ja, Sie benutzen das, ja. Wenn in mir ein Widerspruch vorliegt und ich dem dann Aufmerksamkeit widme, um ihn aufzulösen, das ist nicht Aufmerksamkeit.
25:03 Normalerweise meint man, das sei Aufmerksamkeit. Nein, das ist lediglich
25:09 ein gedanklicher Vorgang, der sagt, "Ich bin so, ich sollte anders sein."
25:18 Das Bestreben, anders zu sein, ist also nicht Aufmerksamkeit.
25:25 So ist es. Innerlich etwas werden wollen, lässt einen unaufmerksam werden.
25:36 Jemand mag denken, er ist aufmerksam, ist es aber nicht, wenn er damit innerlich beschäftigt ist.
25:47 Ist es nicht sehr schwer, Sir, frei zu sein vom Werden? – Ist das nicht das Grundlegende? – Von was frei sein?
25:57 Das Werden beenden. Macht das Sinn, was wir sagen? Helfen Sie uns! Kommen wir vorwärts, Sir? Oder drehen wir uns im Kreis? Fast jeder hat Probleme der einen oder anderen Art. Neben den technischen Problemen, die lösbar sind, gibt es die scheinbar unlösbaren menschlichen Probleme. Und ich frage, warum.
26:42 – Wir sagten, sie widmen sich ihnen nicht wirklich. – Nein,
26:46 aufmerksam sein wollen, wird dann zum Problem.
26:49 Ja, aber weil Aufmerksamkeit fehlt, haben sie überhaupt erst Probleme.
26:54 Und wenn man ihnen das sagt, wird Aufmerksamkeit zu einem Problem. Wie geht das, aufmerksam sein?
27:01 Wie hört man damit auf? Die Schwierigkeit sind die Tricks, die der Geist anwendet, um damit zurechtzukommen. Er macht gerade dasselbe wieder.
27:16 Kommen wir wieder zurück. Ist der Geist, der so voller Wissen steckt, Selbstherrlichkeit, innere Widersprüche usw., dieser Geist, der menschliche Geist ist an einen Punkt gekommen, wo er im Psychischen bewegungsunfähig geworden ist. – Ja, keine Bewegungsmöglichkeit mehr.
27:51 Also was?
27:57 Was würde ich einem Menschen sagen, der an diesem Punkt angelangt ist? Bewegen wir uns vorwärts oder nicht?
28:11 Wir fangen an, die Frage einzukreisen.
28:20 Ich komme zu Ihnen. Ich bin durch und durch verwirrt, voller Angst und Verzweiflung, nicht nur im Hinblick auf die Welt, sondern auch bezüglich meiner selbst. Ich komme an diesen Punkt und ich will darüber hinaus. Also wird es für mich zu einem Problem.
28:50 – Wieder der Versuch, etwas zu werden. – Ja, genau.
28:54 Ist das also der Ursprung all dessen, der Wunsch, etwas zu werden?
28:59 Es liegt wohl nahe dran. Es taucht auf, ohne bemerkt zu werden. Unaufmerksam sein sieht so aus, dass man sich sein Problem anschaut, das Problem ist das Werdenwollen und dann will man damit aufhören, was wiederum Unaufmerksamkeit ist.
29:17 Und das wird wieder zum Problem. Wie kann ich mir also, ohne dass die Bewegung des Werdenwollens aufkommt, diese komplexe Angelegenheit in mir anschauen?
29:35 Man muss sich wohl das Ganze anschauen. Wir haben nicht das Ganze des Werdenwollens angeschaut, als Sie fragten, wie man aufmerksam ist. Ein Teil ist wohl entwischt und wurde dann zum Beobachter.
29:52 Sehen Sie, der Fluch liegt im Werdenwollen, im psychischen Werdenwollen. Ein armer Mann will reich werden, ein reicher noch reicher. Es ist immer diese Bewegung des Werdens, sowohl im Außen wie im Inneren. Obwohl damit viel Schmerz einhergeht und manchmal auch Vergnügen, hat dieses Werdenwollen, Erfüllung suchen, psychisch etwas erreichen wollen, mein Leben zu dem gemacht, was es ist. Ich sehe das, kann jedoch nicht damit aufhören.
30:40 Aber warum kann ich es nicht beenden?
30:43 Untersuchen wir das ein bisschen. Zum Teil deshalb, weil ich immer mit Werden beschäftigt bin und ich die erwartete Belohnung haben will. Außerdem will ich Schmerz vermeiden. Strafe und Belohnung. Zwischen diesen beiden bin ich gefangen. Das ist wahrscheinlich ein Grund, weshalb der Geist immer weiter versucht, etwas zu werden. Der andere ist vielleicht tiefverwurzelte Angst, Bedenken. Wenn ich nicht etwas werde, nicht etwas bin, bin ich verloren. Und ich bin unsicher, schutzlos. Also, der Geist ist diesen Illusionen verfallen und sagt, "Ich kann nicht aufhören." – Ja, aber warum hört der Geist nicht damit auf?"
31:55 Wir müssen auch die Tatsache betrachten, dass diese Illusionen gar keine Bedeutung haben.
32:06 Wie können Sie mich überzeugen, dass ich in einer Illusion gefangen bin? Das ist unmöglich, außer ich sehe es selbst. Ich sehe es aber nicht, weil meine Illusion so ausgeprägt ist. Diese Illusion ist genährt worden, kultiviert von der Religion, der Familie usw. Sie ist so tief verwurzelt in meinem Geist, dass ich mich weigere loszulassen.
32:41 – Dann sieht es unmöglich aus. – Genau so sieht es aus. So sieht es aus bei einer Vielzahl der Menschen. Sie sagen, "Ich will es tun, aber ich kann nicht." Nun, von dieser Gegebenheit ausgehend, was kann man machen? Vielleicht mit Erklärungen, Logik, mit dem Hinweis auf die logischen Widersprüche usw., wird ihm das helfen? Offenkundig nicht.
33:26 Nein, es wird einfach in die bestehende Struktur eingearbeitet.
33:30 Offenkundig nicht. Was ist also die nächste Sache?
33:36 Ich vermute, wenn jemand sich ändern will, gibt es den entgegengesetzten Willen automatisch auch. – Natürlich.
33:45 Wer sagt, "Ich will mich ändern", fragt gleichzeitig, "Warum soll ich mich eigentlich ändern?" Das eine folgt dem anderen.
33:56 Dann hat man also einen Widerspruch.
33:59 Ja, das meinte ich, einen Widerspruch. – Ich habe in dem Widerspruch gelebt, ihn akzeptiert. – Warum habe ich ihn akzeptiert?
34:10 Aus Gewohnheit.
34:12 Aber ein gesunder Geist akzeptiert keinen Widerspruch.
34:15 Aber unser Geist ist nicht gesund! Unsere Gehirne sind so krank, so korrupt, so verwirrt. Sogar wenn man ihm die Gefahren aufzeigt, weigert es sich, sie zu sehen. So,
34:42 angenommen, ich bin so jemand. Wie können wir ihm die Augen öffnen für die Gefahren des Werdenwollens? Um es mal so auszudrücken. Werden im psychischen Sinne. Man identifiziert sich mit einer Nation, dieses ganze Zeug.
35:05 Das Festhalten an einer Meinung.
35:08 Glauben. Ich habe eine Erfahrung gemacht, sie stellt mich total zufrieden, also halte ich daran fest. Ich habe Wissen angesammelt, all das. Wie können Sie mir helfen, so einem Menschen, von all dem frei zu werden? Ihre Worte, Ihre Erklärungen, Ihre Logik, alles sagt, "Es stimmt, aber ich komme da nicht raus."
35:45 Ich frage mich, ob es ein anderes Mittel gibt, eine andere Art der Kommunikation, die nicht auf Worten beruht, Wissen, Erklärungen und Belohnung. Verstehen Sie? Gibt es eine andere Art der Kommunikation? Wir sprachen beim Essen kurz darüber. Sehen Sie, auch darin liegt eine Gefahr. Ich glaube, ich bin sicher, es gibt eine Art der Kommunikation, nicht mit Worten, die nicht analytisch ist, logisch. Das heißt nicht, dass die Vernunft fehlt. Aber ich bin sicher, es gibt eine andere Art.
37:12 Vielleicht gibt es sie.
37:14 Wie also können Sie mit mir kommunizieren, der in dieser Falle gefangen ist, ohne Worte, so dass ich es begreife, in der Tiefe, so dass alles andere zerbricht? Gibt es so eine Kommunikation? Mein Verstand hat bisher ausschließlich über Worte kommuniziert, mit Erklärungen, mit Logik, mit Analysieren. Er wollte etwas erzwingen oder suggerieren usw. Mein Verstand ist in all dem gefangen. Es muss ein anderes Element geben, das da hindurchbrechen kann. Wenn nicht, dann ist es unmöglich!
38:21 – Es würde die Unfähigkeit zuzuhören, durchbrechen. – Ja,
38:25 die Unfähigkeit zuzuhören, die Unfähigkeit zu beobachten, zu hören usw. Es muss eine andere Methode geben! Ich traf mal einen Mann, viele Männer, die zusammen gewesen waren mit einem gewissen Heiligen und in seiner Gegenwart, sagten sie, seien all ihre Probleme gelöst gewesen. Für eine Minute. Und dann im normalen Leben – wieder das alte Spiel.
39:14 – Es war ohne Intelligenz. – Nein,
39:17 man sieht die Gefahr. Dieser Mann, dieser Heilige, voller Stille, ohne Worte, in seiner Gegenwart fühlen sie sich ruhig. Verstehen Sie? Und sie haben den Eindruck, ihre Probleme sind gelöst.
39:36 – Aber es kommt immer noch von außen. – Natürlich, das ist es!
39:44 Es ist wie in die Kirche gehen. Und in einer guten, altertümlichen Kirche oder einer Kathedrale fühlt man sich außerordentlich ruhig. Es ist die Atmosphäre, es ist die Struktur, besonders die Atmosphäre führt dazu, dass man still wird.
40:05 Man spürt, was mit Stille gemeint ist. Es kommuniziert etwas auf nonverbale Art,, aber nicht sehr tief. – Das ist nichts!
40:16 Es ist wie Weihrauch!
40:18 – Es ist oberflächlich. – Ja, äußerst oberflächlich. Wie Weihrauch, der wieder verschwindet.
40:27 Wenn wir das alles weglassen, was bleibt übrig? Kein Einwirken von außen, Gott oder irgendein Erlöser. Wenn das alles nichts bringt, was bleibt dann? Was kann kommuniziert werden, das die Wände durchbrechen wird, die die Menschen um sich herum erbaut haben?
41:23 Wie wir beim Essen sagten vor ein paar Stunden, ist es Liebe? Natürlich ist dieses Wort missbraucht worden, belastet, schmutzig geworden. Aber der Kern dieses Wortes, ist das der Faktor, der das durchbricht, das ganze Schlaue, Analytische, all das. Ist das das Element, das fehlt?
42:10 Wir müssen es betrachten, vielleicht. Menschen sind etwas zurückhaltend mit diesem Wort.
42:15 Meine Zurückhaltung damit ist grenzenlos!
42:18 Und deshalb haben sie gegenüber der Liebe genauso Widerstand wie gegen das Zuhören.
42:26 Darum meinte ich ja, dass es ein etwas heikles Wort ist.
42:31 Wir sprachen vor ein paar Tagen davon, dass Liebe Intelligenz umfasst, das meint auch Sorgfalt, Fühlen. Wir verstehen unter Liebe die Energie, die Intelligenz und Sorgfalt enthält.
42:46 Darüber sprachen wir damals.
42:48 So hat das mehr Sinn.
42:52 Also, Sie haben diese Eigenschaft, und ich bin in meinem Elend gefangen, meiner Angst usw. Und Sie versuchen, das zu durchdringen mit dieser Intelligenz, diesen Zustand von Dunkelheit. Wie machen Sie das? Wird das wirken? Wenn nicht, sind wir Menschen verloren! Verstehen Sie, Sir? Deshalb haben sie sich ausgedacht, dass Jesus, Buddha, Krishna sie lieben. Verstehen Sie? Und das ist dermaßen bedeutungslos, oberflächlich und unsinnig.
43:54 Was kann ich also tun? Ich glaube, das ist der Faktor: Aufmerksamkeit, Wahrnehmung, Intelligenz und Liebe. Sie zeigen mir das, und ich bin nicht in der Lage, es anzunehmen. Ich sage, "Es klingt schön, ich fühle es, aber ich kann es nicht in mir halten." Es geht nicht, weil es sofort weg ist, sobald ich den Raum verlasse.
44:48 – Das ist wirklich das Problem. – Ja, Sir.
44:52 Das ist das eigentliche Problem. Ist Liebe etwas außerhalb von uns? Verstehen Sie? So wie der Erlöser außerhalb ist und der Himmel außerhalb ist. Aber ist Liebe etwas, ich formuliere mal ganz vorsichtig, etwas, außerhalb von mir, das Sie mir bringen, in mir erwecken, das Sie mir schenken? Oder findet es sich in meiner Dunkelheit, in meiner Illusion, im Leiden? Findet diese Qualität sich dort? Offensichtlich nicht. Das kann nicht sein.
46:07 – Aber wo ist sie dann? – Genau das ist es. Sie muss da sein. Einen Moment! Liebe ist nicht Ihre oder meine. Sie ist nichts Persönliches. Sie ist nicht etwas, das dem einen gehört und dem anderen nicht. Liebe ist da.
46:32 Das ist ein wichtiger Punkt. Sie sagten mal, dass Isoliertheit nicht zu einer bestimmten Person gehört. Es ist etwas, das jeder sich anschauen kann. – Wir denken eher, Isoliertheit ist mein persönliches Problem. – Nein, natürlich nicht.
46:50 – Sie ist in jedem. – Das könnte einen Hinweis geben.
46:53 Wer nach Liebe sucht, glaubt es sei seine Liebe. – So denken wir. – Nein, nein.
47:02 Intelligenz ist nicht etwas Persönliches.
47:04 Das widerspricht auch unserem ganzen Denken. Wir sagen, der eine ist intelligent, der andere nicht. Wenn ich nicht intelligent genug bin, muss ich mir Intelligenz aneignen. Das ist möglicherweise eine der Barrieren in uns. Dem gewöhnlichen alltäglichen Denken liegt ein allen gemeinsames Denken zugrunde, dass wir alle getrennt sind und diese verschiedenen Qualitäten besitzen oder eben nicht.
47:36 Der in sich gespaltene Geist denkt sich das aus.
47:40 Ja, aber wir haben es aufgenommen von Kindheit an, direkt oder indirekt oder durch Schlussfolgerung. So ist es die Grundlage unseres Denkens und Wahrnehmens. Das muss in Frage gestellt werden.
47:58 Das haben wir in Frage gestellt. Nicht meine Trauer, die Trauer der Menschheit.
48:06 Wie erkennt man das? Ein Mensch in Trauer hält sie für seine Trauer. Es erscheint einem doch so?
48:15 Es liegt wohl an unserer Erziehung, der Gesellschaft, den üblichen Verhaltensweisen.
48:21 Aber auch an unserer Art zu denken.
48:24 Sehr richtig.
48:27 Dann müssen wir da irgendwie rausspringen.
48:30 Aber da rauszuspringen, wird zu einem Problem, und was mache ich dann?
48:36 Aber vielleicht können wir sehen, dass Liebe nicht etwas Persönliches ist, sowenig wie andere Qualitäten. – Die Erde ist nicht
48:44 die englische oder französische Erde. Erde ist Erde.
48:48 Vielleicht hilft ein Beispiel. Wenn ein Chemiker das Element Natrium untersucht, ist es nicht sein Natrium, und ein anderer untersucht sein eigenes Natrium und sie vergleichen dann ihre Ergebnisse.
49:02 – Natrium ist Natrium. – Natrium ist universelles Natrium.
49:06 Genauso ist Liebe die allgemeine Liebe.
49:09 Ja, aber sehen Sie,
49:11 mein Geist weigert sich, das zu sehen, weil ich so schrecklich persönlich bin, schrecklich "ich und meine Probleme" usw. Ich weigere mich, das loszulassen. Wenn Sie sagen, Natrium ist Natrium, das sehe ich sofort ein. Aber zu sagen, Trauer ist uns allen gemeinsam – Es ist dieselbe Trauer. – Natrium ist Trauer!
49:44 Es ist zwar keine Frage der Zeit, aber
49:47 die Menschheit brauchte ziemlich lange, um einzusehen, dass es nur ein Natrium gibt.
49:59 Das ist es, was ich herausfinden will. Ist Liebe etwas, das uns allen gemeinsam ist?
50:14 Insofern als sie existiert, muss sie allen gemeinsam sein.
50:18 – Vielleicht existiert sie ja auch nicht. – Ich weiß nicht, ob sie nicht doch existiert.
50:24 Mit dem Mitgefühl ist es nicht so: "Ich habe Mitgefühl", Mitgefühl ist da.
50:29 Es ist etwas , nicht: "Ich bin mitfühlend".
50:33 Mit Mitgefühl ist es wie mit Natrium, es ist universell. Das Mitgefühl aller ist ein und dasselbe.
50:42 Mitgefühl und Liebe und Intelligenz. Mitgefühl gibt es nicht ohne Intelligenz.
50:49 Deshalb sagen wir, Intelligenz ist auch universell. – Aber es gibt Methoden, um die Intelligenz Einzelner zu testen. – Oh, nein!
50:59 – Das zeigt auch wieder diese falsche Sichtweise. – Die trennende und aufspaltende Art zu denken.
51:06 Und Denken ist aufspaltend.
51:12 Es mag eine uns noch unzugängliche holistische Denkweise geben.
51:17 Das holistische Denken ist kein Denken, sondern irgendwie ein anderer Faktor. Wenn die Liebe also uns allen gemeinsam ist, warum bin ich dann blind ihr gegenüber?
51:41 Das Gehirn ist verwirrt. Es weigert sich einfach, so eine ungewöhnliche Sichtweise oder Denkweise anzunehmen.
51:48 Aber Sie sagten gerade, "Natrium ist Natrium"!
51:54 Es gibt unzählige Belege dafür in allen möglichen Experimenten.
52:01 Salz ist Salz. Ob es englisches Salz ist oder …
52:06 Aber dahinter steckt viel Arbeit und Erfahrung. – Mit der Liebe können wir das nicht machen. – Nein, das geht nicht! – Liebe ist nicht Wissen. – Man kann nicht im Labor nachweisen, dass Liebe Liebe ist.
52:26 Warum weigert sich der Geist,
52:30 eine ganz offensichtliche Tatsache zu akzeptieren? Warum? Ist es die Angst davor, meine alten Wertvorstellungen, Standards, Meinungen, all das loszulassen? Aber wiederum, verstehen Sie?
52:49 Ich vermute eine tiefere Ursache. Es ist schwer herauszufinden, aber es ist nicht irgendwas Banales. – Das wäre nur eine halbe Erklärung. – Eine oberflächliche Erklärung,
53:01 ich weiß. Ist es die tief in uns sitzende Angst oder die Sehnsucht nach absoluter Sicherheit?
53:19 Aber diese kommt aus der Gespaltenheit. Wer sich als gespalten sieht, sucht unweigerlich nach totaler Sicherheit, richtig? Gespalten sein heißt, dauernd in Gefahr sein.
53:31 Ist das also die Grundursache?
53:34 Dieser Drang, dieses Verlangen, diese Sehnsucht nach totaler Sicherheit in meinen Beziehungen mit allem, Gewissheit haben wollen?
53:48 Sie haben oft gesagt, dass es auch vernünftig ist, nach Sicherheit zu streben, aber dass wirkliche Sicherheit im Nichtssein liegt.
53:58 Im Nichtssein ist vollkommene Sicherheit.
54:01 Nicht das Sicherheitsverlangen ist falsch, sondern im Gespaltensein Sicherheit zu wollen. Das Gespaltene kann unmöglich sicher sein.
54:09 Nicht jedes einzelne Land strebt nach Sicherheit.
54:12 Vollkommene Sicherheit könnte es geben, wenn sich die Länder zusammentun.
54:18 Kein Stammesdenken, natürlich gäbe es Sicherheit.
54:21 Es klingt, als müssten wir für immer in Unsicherheit leben.
54:26 Nein, nein. Wir haben das sehr deutlich gemacht.
54:30 – Sicherheit anzustreben ist vernünftig, aber wir versuchen es auf die falsche Art. – Ja, richtig.
54:44 Wie vermittelt man das, dass Liebe universell ist, nicht persönlich? Einem Menschen, der ausschließlich die enge Sichtweise hat, persönlich etwas erreichen zu wollen?
55:03 Zuerstmal, stellt er das in Frage? Seine Enge, das Einzigartige an seiner Persönlichkeit?
55:11 Ja, ich habe mit vielen gesprochen. Sie stellen es in Frage, sehen die Logik, das Unlogische von alldem. Und trotzdem … Unverständlicherweise haben Menschen, die sehr ernsthaft in diesen Dingen waren, die versucht haben, die Gesamtheit des Lebens durch Hungern zu finden, durch Selbstquälerei, durch alles mögliche. Sie haben sie nicht gefunden, nur in ihrer Einbildung. Man kann nicht die Ganzheit erfassen oder wahrnehmen oder sein, indem man sich quält. Zur Quälerei zählt auch Disziplin usw. Sie wissen das. Was können wir also tun? Ich habe einen Bruder, der sich weigert, all das zu sehen. Ich mag ihn, habe mit ihm zusammengelebt, es liegt mir sehr viel an ihm. Ich will, dass er da rauskommt. Und ich habe versucht, ihn mit Worten zu erreichen und manchmal auf wortlose Weise, mit einer Geste, mit einem Blick, aber das ist alles noch immer von außen kommend. Und vielleicht ist das der Grund für seinen Widerstand. Aus meiner großen Zuneigung zu meinem Bruder heraus möchte ich ihm helfen, vielleicht besser: ihn darauf hinweisen, dass diese Flamme in ihm aufgeweckt werden kann. Das bedeutet, er muss mir zuhören. Wieder das Alte! Aber mein Bruder weigert sich zuzuhören.
57:54 Es scheint, dass manche Handlungen einfach nicht möglich sind. Wenn ein Mensch in einem gewissen Gedanken gefangen ist, dem alles aufspaltenden Denken, kann er sich nicht ändern, weil viele Gedanken dahinter stecken, vermutlich ohne sein Wissen. Er ist nicht wirklich frei, da zu handeln, wegen der ganzen Gedankenstruktur, die ihn festhält. Wir müssen also eine Stelle finden, wo er frei handeln und sich bewegen kann, eine Stelle, die nicht von Konditionierung kontrolliert wird.
58:27 Wie kann ich, ich benutze das Wort "helfen" sehr vorsichtig, meinem Bruder helfen? Er kennt meine Zuneigung, er weiß von meiner … All das weiß er. Was ist die Wurzel des Problems? Wir sagten, das Werdenwollen, das sind alles nur Worte. Man kann das Ganze auf zehn verschiedene Arten erklären. Die Ursache, die Wirkung usw. Nach der Erklärung sagt er, "Du hast mich da stehen lassen, wo ich bin." Und meine Intelligenz, meine Zuneigung, Liebe sagt, "Ich kann ihn nicht gehenlassen." Ich kann nicht sagen, "Geh zur Hölle!" und einfach weitergehen. Setze ich ihn unter Druck?
1:00:02 Ich übe keinerlei Druck aus, biete keine Belohnung an. Nichts davon. Es ist meine Verantwortung. Ich kann einen anderen Menschen nicht gehenlassen. Die Verantwortung hat nichts mit Pflicht zu tun, diesem dummen Zeug. Die Verantwortung kommt aus der Intelligenz, die das sagt. All das.
1:00:37 Es ist klar, dass die ganze Sache sinnlos wäre, wenn man ihn gehenlassen würde. Das wäre ein Zurückgehen in die Aufgespaltenheit.
1:00:49 Es gibt eine Tradition in Indien, wohl auch in Tibet. Man spricht vom Maitreya Buddha, der einen Eid ablegte, nicht zum ultimativen Buddha zu werden, bis er alle menschlichen Wesen befreit habe.
1:01:12 Insgesamt.
1:01:22 Sehen Sie, diese Tradition hat nichts verändert. Wie kann jemand, wenn er diese Intelligenz hat, dieses Mitgefühl, diese Liebe, die nicht einem Land gehören, einer Person oder Ideal, Erlöser, all dieser Unsinn, sondern er ist von dieser Reinheit, kann das einem Anderen übermittelt werden? Oder man lebt mit ihm, spricht mit ihm, Sie sehen, es wird zu etwas Mechanischem.
1:02:57 Würden Sie sagen, dieses Problem ist nie gelöst worden?
1:03:03 Ich glaube nicht, Sir. Aber wir müssen es lösen. Es ist noch nicht gelöst worden, aber unsere Intelligenz sagt, "Löse es!" Nein, ich glaube, Intelligenz sagt nicht, "Löse es!" Intelligenz sagt, "Das sind die Fakten." Und vielleicht werden es einige begreifen.
1:04:06 Mir scheint, es sind tatsächlich zwei Faktoren. Der eine ist die Vorbereitung über den Verstand. Man zeigt, so hat es keinen Sinn. Und dann wird es jemand möglicherweise erfassen.
1:04:21 Das haben wir gemacht. Sie haben es mir erklärt. Sie haben mir das Ganze deutlich gezeigt. Ich habe es klar gesehen, die Konflikte, das Elend, die Verwirrtheit, die Unsicherheit, das Werdenwollen. Das ist sehr, sehr klar. Am Ende des Kapitels stehe ich wieder am Anfang. Oder ich erhasche einen Blick darauf und daraus wird mein Verlangen, das Gesehene für mich zu haben, es festzuhalten und nicht zu verlieren. Es wird zu einer Erinnerung, Sie verstehen? Die ganzen Albträume gehen wieder los.
1:05:10 Im Erklären der ganzen Landkarte haben Sie auch hingewiesen auf etwas viel Tieferes als das, nämlich Liebe. Und aufgrund Ihrer Persönlichkeit, Ihrer Erklärung, Ihrer Logik, suche ich danach, versuche es zu erfassen. Aber die Schwerfälligkeit meines Körpers, mein Gehirn, die überlieferten Verhaltensweisen, all das behindert mich. So findet ein ständiger Kampf statt. Verstehen Sie, Sir? Und ich halte alles für so falsch.
1:06:04 Was ist falsch?
1:06:06 Die Art, wie wir leben. Das ganze Ding ist so falsch.
1:06:13 Ich glaube, viele sehen das schon. Zumindest eine größere Zahl.
1:06:20 Wir überlegten mal in Ojai, ob die Menschheit einen falschen Weg eingeschlagen hat, in ein Tal gekommen ist, aus dem es kein Entkommen gibt. Das kann nicht sein. Das wäre zu deprimierend, zu schrecklich.
1:06:49 Allein die Tatsache, dass es schrecklich wäre, macht es nicht falsch. Ich denke, Sie brauchen schon ein stärkeres Argument dafür, weshalb es nicht so sein kann.
1:07:03 Sehen Sie in der menschlichen Natur die Möglichkeit einer wirklichen Veränderung? – Natürlich, ansonsten … – Sonst wäre es bedeutungslos. – Affen, Maschinen!
1:07:14 Sehen Sie, die Fähigkeit, sich radikal zu ändern, wird einer Kraft außerhalb von uns zugeschrieben. Deshalb wenden wir uns der zu, und verlieren uns darin. Wenn wir uns nichts dergleichen zuwenden und vollkommen davon frei sind, die dann auftauchende Einsamkeit ist uns allen gemein. Es ist nicht Isoliertheit. Es ist offensichtlich so, dass, wenn man das alles sieht und sagt, das ist so hässlich, unwirklich, so dumm, dann ist man natürlicherweise einsam, man ist natürlicherweise allein. Und dieses Gefühl von Alleinsein ist allen gemein.
1:08:27 Üblicherweise wird Einsamkeit so empfunden, als sei es die eigene Einsamkeit.
1:08:33 Einsamkeit ist nicht dasselbe wie Alleinsein, mein Gott!
1:08:37 Man könnte sagen, alle tiefgehenden Dinge sind universell. Und Sie sagen deshalb, wenn der Geist in die Tiefe vordringt, trifft er auf etwas Universelles, ob man es "absolut" nennt oder "göttlich".
1:08:54 Und das ist das Problem. Für mich erkundet der Geist sehr tief sich selbst.
1:09:02 Dazu ist in mir etwas aufgetaucht. Das spezielle Problem zu betrachten, ist eher seicht. Dann generalisieren wir es, und dieses Wort ist verwandt mit "generieren", erzeugen. Es deutet also auf "Erzeugung" hin. Wenn man also ins Allgemeinere vordringt, erreicht man die Tiefe dessen, was erzeugt wird. Auch wenn man noch tiefer geht, das Allgemeine ist begrenzt, weil es Denken ist.
1:09:34 Aber Sir, um so tief zu gehen, braucht es nicht nur ungeheuren Mut, sondern auch die Fähigkeit, beständig bei dieser einen Sache zu bleiben. Man könnte es "Sorgfalt" nennen, das ist vielleicht zu schwach, oder? – Ja, das ist zu schwach.
1:10:05 Es braucht dazu einen religiösen Geist in dem Sinne, dass er natürlich sorgfältig ist in seinem Tun, seinem Denken, seinen Aktivitäten usw., aber das reicht nicht aus. Ich glaube, das stimmt, Sir. Wenn der Geist sich bewegen kann vom Besonderen zum Allgemeinen, und vom Allgemeinen …
1:10:29 – Zum Absoluten, Universellen. –… sich davon wegbewegt.
1:10:35 Viele würden sagen, das ist abstrakt und hat nichts mit dem Alltag zu tun.
1:10:42 Ich weiß. Aber es ist eine äußerst praktische Sache, keine Abstraktion.
1:10:46 Tatsächlich ist das Besondere die Abstraktion.
1:10:49 Ja, das Besondere ist das Gefährlichste.
1:10:52 Und das Abstrakteste.
1:10:53 Man kommt zum Besonderen nur durch Abstraktion vom Allgemeinen, richtig? Aber das spielt eventuell eine Rolle. Menschen wollen etwas für ihr tägliches Leben, sie befürchten, sich im Reden zu verlieren. Deshalb sagen sie, diese schwammigen Allgemeinheiten interessieren uns nicht. Das sind Abstraktionen …
1:11:19 Ja, und wir kümmern uns um die harten Fakten des täglichen Lebens. Es muss sich schon im täglichen Leben auswirken, aber, im täglichen Leben findet man nicht die Lösung seiner Probleme. – Nein.
1:11:34 – Das tägliche Leben ist das allgemeine Leben. – Das allgemeine und das besondere.
1:11:40 Im täglichen Leben auftauchende Probleme können nicht da gelöst werden.
1:11:44 Das stimmt, Sir. Bewege dich vom Besonderen zum Allgemeinen, vom Allgemeinen bewege dich noch tiefer. Und dort ist vielleicht diese Reinheit dieses Dinges, das man Mitgefühl nennt, Liebe und Intelligenz. Aber das bedeutet, ihm sich ganz zu widmen, mit dem Herzen, dem Geist, das ganze Sein muss dabei sein.
1:12:23 Wir hören jetzt besser auf. Viertel nach fünf. Wir haben sehr lange miteinander gesprochen. – Sind wir weitergekommen? – Möglicherweise, ja. – Ich glaube schon.
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